An der Nordwestküste der Insel Rhodos, in der Nähe des Kap Agios Minas und am Fuße des Akramitis, wurden in prähistorischer Zeit jene Götter verehrt, die den Menschen das Mahlen und Backen beibrachten. Vor dreitausend Jahren schließlich bauten die Dorer einen Tempel und gründeten eine Siedlung.

Leben im antiken Kamiros

Die Menschen lebten ländlich, betrieben Öl- und Weinhandel, pflegten das Töpferhandwerk. Seine Blüte erlebte Kamiros (oder auch Kameiros) im sechsten vorchristlichen Jahrhundert. Nach einem mächtigen Erdbeben im Jahr 226 v. Chr. bauten die Menschen ihre Stadt wieder auf. Einem erneuten Beben im Jahr 139 n. Chr. folgte jedoch keine solche Initiative; letzte Zeugnisse menschlicher Besiedlung von Kamiros sind Keramikfunde aus dem vierten Jahrhundert.



Stadtleben auf drei Ebenen

Kamiros

Ruinen des antiken Kamiros

Heute erzählen Ruinen vom Alltag längst vergangener Zeiten. Kamiros erstreckte sich terrassenartig über drei Ebenen. Mit Blick auf die Ägäis lag die Akropolis mit einem der Athene geweihten Ringhallentempel 120 Meter über dem Meeresspiegel. Auf 200 Metern Länge erstreckte sich eine Stoa mit reich verzierten Säulen, mit Geschäfts- und Aufenthaltsräumen für Pilger. Das philosophische Lehrgebäude umgab ein 600 Kubikmeter fassendes Wasserversorgungssystem mit zahlreichen Brunnen, unterirdischen Tanks und verzweigten Terrakotta-Wasserrohren. Auf diese Weise erhielten 300 bis 400 Familien ihr Wasser. Vor dem Bau der Stoa war das Regenwasser zentral in einer großen Zisterne gesammelt und mit Hilfe zweier Terrakotta-Rohre in die Siedlung geleitet worden.

Das Wasserversorgungssystem lässt sich noch heute bei vielen der Wohnhäuser erkennen, die das Bild der mittleren Terrasse prägen. Typisch für die Häuser von Kamiros sind Säulen-Innenhöfe, die auf einer Seite höher sind als auf der anderen. Diese “rhodesischen Peristyle” zeichneten sich durch reich verzierte Mosaikböden und aufwändig gestaltete Säulen und Fassaden aus. Sehenswert sind auch die Überreste öffentlicher Bäder mit abgetrennten Heiß- und Kaltbereichen und einem System zur Fußbodenbeheizung.

Auf der am niedrigsten gelegenen Terrasse liegen die Ruinen eines weiteren, wahrscheinlich dem Gott Apollon gewidmeten Tempels, kleinerer Altäre sowie die Überreste eines Brunnenhauses und von Altar-Umgrenzungen. Schließlich befindet sich auf der dritten Terrasse die Agora. Dieser zentrale Markt-, Fest- und Sammelplatz war grundlegend für das Selbstverständnis der Polis. Die zentrale Lage der Agora war Bestandteil eines neuartigen, im fünften Jahrhundert v. Chr. entwickelten Stadtplanungskonzepts.

Stadtplanerisches Novum

Was heute jeder aus dem Internet kennt, war in hellenistischer Zeit noch ganz neu: Als “hippodamisches System der Stadtplanung” bezeichnet man eine rechtwinklige Anordnung weniger Haupt- und mehrerer Nebenstraßen. So entstehen gleich große Grundstücke, die durch ähnliche Bebauung optimal ausgenutzt werden. Dahinter steht der Gedanke der Gleichheit aller Bürger.



Die Wiederentdeckung Kamiros

Kamiros war eine der drei mächtigen Städte des antiken Rhodos; verlassen wurde es vor 1600 Jahren, nachdem es nach einem Erdbeben einige Jahrhunderte zuvor nie wieder vollständig aufgebaut worden war. Warum die Bewohner Kamiros verließen, ist nicht bekannt, ein Grund könnten Piratenüberfälle sein. Die Stätte geriet in Vergessenheit und versank im wahrsten Sinne des Wortes – hier liegt wohl der Ursprung der Bezeichnung “Pompeji von Rhodos”. Der Vergleich hinkt jedoch, denn Kamiros wurde nicht plötzlich von Lavamassen verschluckt, sondern nach seiner Aufgabe durch die Menschen langsam von der Natur zurückerobert. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts stießen Archäologen auf Funde, die eine Siedlung vermuten ließen. Systematische Ausgrabungen und Restaurationsarbeiten fanden zwischen 1928 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt, im Umfeld der Ausgrabungsstätte werden weitere Artefakte vermutet.